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30.06.2022 | permalink
Bericht: ‚Patentdickicht' blockiert die konventionelle Pflanzenzüchtung
Die traditionelle Pflanzenzucht könnte bald unmöglich werden, da große Konzerne verstärkt versuchen, Patente auf natürlicherweise vorkommende Gene und zufällige Mutationen anzumelden. Darauf macht ein neuer Bericht des Bündnisses „Keine Patente auf Saatgut!“ aufmerksam, der am 29. Juni veröffentlicht wurde. Die Nutzung der biologischen Vielfalt für die konventionelle Züchtung von Pflanzen und Tieren wird so behindert oder sogar blockiert, da diese Patente ein undurchdringliches ‚Patentdickicht‘ für kleinere und mittlere Züchter*innen schaffen. Ganz davon abgesehen, dass sie eigentlich unzulässig sind, da in Europa nur gentechnische Verfahren und nicht konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere patentierbar sind. „Durch die zunehmende rechtliche Unsicherheit über die Patentierung von Pflanzen und deren Genen entsteht eine ernsthafte Gefahr für die konventionelle Züchtung. Diese Patente können den Zugang zur biologischen Vielfalt blockieren, die von allen ZüchterInnen benötigt wird“, beklagt Dagmar Urban von ARCHE NOAH, einem Verein, der sich für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt einsetzt und dem Bündnis angehört. „Die derzeitige Praxis des EPA steht im Gegensatz zu den politischen Zielen der europäischen Regierungen, die die Regel beschlossen haben.”
„Keine Patente auf Saatgut!“ übergab den Bericht am Mittwoch auch offiziell dem Europäischen Patentamt (EPA) in München, dem Stein des Anstoßes. Denn das Bündnis kritisierte schon seit Langem die umstrittene Praxis des EPA, Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere zu erteilen, obwohl im europäischen Patentrecht diese Patente auf „im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren“ untersagt sind. Im Juni 2017 hatte das EPA auf massiven öffentlichen Druck hin ein Ende dieser Patente beschlossen. Die neue Regel 28(2) wurde in die Ausführungsordnung des EPA aufgenommen und 2020 durch eine Entscheidung der großen Beschwerdekammer des EPA bestätigt (G3/19). Doch es gibt immer noch rechtliche Schlupflöcher: Das EPA gewährt zum Beispiel weiter Patente auf Pflanzen, die auf der Grundlage von zufälligen genetischen Veränderungen gezüchtet werden. Der Bericht kritisiert etwa ein jüngst erteiltes Patent, bei dem das Patentamt eine zufällige genetische Variation, die durch Sonnenlichtstrahlung ausgelöst wurde, als technische Erfindung durchgehen ließ: Das Patent EP3560330 der Firma KWS betrifft Mais mit einer verbesserten Verdaulichkeit. Beansprucht werden die Pflanzen mit zufällig veränderten Genen und deren Ernte. Das erteilte Patent umfasst auch die Verwendung von natürlicherweise vorkommenden Genvarianten für die konventionelle Züchtung. Es ist das erste Patent, bei dem trotz der neuen Regel 28(2) erneut ein Patent erteilt wurde, das nicht auf den Bereich der Gentechnik begrenzt ist.
Die aktuelle Patentrecherche von „Keine Patente auf Saatgut!“ zeigt, auf welche Weise große Konzerne wie BASF, Bayer-Monsanto, Syngenta oder eben KWS systematisch versuchen, die bestehenden rechtlichen Schlupflöcher so weit wie möglich auszunutzen: „Diese Firmen gehören zu denen, die das Erbgut von Pflanzen systematisch nach zufälligen Mutationen und interessanten genetischen Variationen durchsuchen, um diese dann als ihre Erfindung zu beanspruchen. Einige der 2021 veröffentlichten Patentanträge beanspruchen Dutzende, hunderte oder sogar tausende Genvarianten, die in Getreidearten wie Soja und Mais entdeckt wurden, aber auch in Gemüsearten wie Kartoffeln, Spinat, Salat, Gurken oder Früchte tragenden Pflanzen wie Tomaten oder Melonen“, heißt es in der deutschen Zusammenfassung des Berichts. „Die Konzerne beanspruchen dann alle Nutzungen dieser Gene und Genvarianten für die weitere Züchtung.“ Viele Firmen würden zudem in ihre Anträge spezielle Formulierungen einbauen, mit denen technische Elemente (wie CRISPR/Cas) mit üblichen Methoden der konventionellen Züchtung vermischt werden, um den Eindruck einer technischen Erfindung zu erwecken. „Dadurch werden die Grenzen zwischen konventioneller Züchtung und gentechnischen Eingriffen sprachlich systematisch verwischt“, kritisiert das Bündnis.
Der Bericht illustriert anhand einiger Patente, welch erhebliche Auswirkungen diese auf die konventionelle Züchtung haben. Ein Beispiel sind die Patentanträge von Syngenta /ChemChina, die die Nutzung von tausenden Genvarianten beanspruchen, u.a. von Ackerpflanzen wie Soja und Mais, die natürlicherweise vorkommen und die zum Beispiel die Widerstandskraft der Pflanzen gegenüber Krankheiten stärken können. „In den meisten Fällen wurden die jeweiligen Genvarianten in wilden Verwandten der gezüchteten Sorten entdeckt und auf diese per Kreuzung und Selektion übertragen. Der Konzern beansprucht alle züchterischen Verwendungen der beschriebenen Genvarianten und allen Pflanzen mit diesen Genen, die aus züchterischen Aktivitäten hervorgehen. Im Patent erwähnt werden gentechnische Verfahren (wie der Einsatz der Gen-Schere CRISPR/Cas) genauso wie traditionelle züchterische Verfahren wie die Selektion nach interessanten Genvarianten und die weitere Kreuzung“, so der Bericht. Beansprucht werden alle resultierenden Pflanzen, deren Saatgut und die Ernte. So würden andere Züchter durch erhebliche rechtliche Unsicherheiten abgeschreckt, da es kaum herauszufinden sei, ob eine bestimmte Sojapflanze, die eine erhöhte Resistenz gegenüber dem asiatischen Soja-Rost zeigt, einige der rund 5.000 Genvarianten in ihrem Erbgut trägt, die z.B. in der Patentanmeldung WO2021154632 aufgelistet sind. Daher können ZüchterInnen nicht mehr alle Sorten für die weitere Züchtung verwenden. Es sei nicht einmal möglich, auf wilde verwandte Arten der Soja auszuweichen, weil die Patente jegliche züchterische Verwendung der betreffenden Gene abdecken. Im Ergebnis werden diese Patente so zu einem undurchdringlichen Dschungel für alle anderen Züchter.
Ein weiteres Beispiel ist die Zucht von Tomaten mit einer Resistenz gegen das sogenannte Tomato Brown Rugose Fruit Virus. Hier beanspruchen mehrere Unternehmen verschiedene Regionen im Erbgut von Tomaten, die auf mehreren Chromosomen liegen. „Beispielsweise ist das Chromosom 11 von Tomaten das Ziel von zehn Patentanträgen, die von fünf verschiedenen Unternehmen (wie Bayer/ Seminis, BASF/Nunhems und Rijk Zwaan) eingereicht wurden und in denen ähnliche Genregionen beansprucht werden, die sich zum Teil auch überlappen. Alle Tomatenpflanzen, die diese Genvarianten aufweisen und aus irgendwelchen züchterischen Aktivitäten stammen, werden als Erfindung beansprucht. Die beanspruchten Genvarianten kommen natürlicherweise und insbesondere in wilden Arten der Tomate vor“, betonen die Autor*innen. Konventionelle Züchter, die neue Tomatensorten mit einer Resistenz gegen das Virus anstreben, werden meist den genauen Genotyp ihrer Pflanzen nicht kennen. Um Patentverletzungen zu vermeiden, müssten sie Dutzende Patentanträge analysieren, nach den beanspruchten Genvarianten durchsuchen und ggf. rund ein Dutzend Lizenzverträge abschließen. Johanna Eckhardt von „Keine Patente auf Saatgut!“ spricht von einer „Überpatentierung, die den Zugang zu dem biologischen Material blockiert, das benötigt wird, um die erwünschten Tomatensorten zu züchten.“ Bisher hätten im Rahmen des Sortenschutzes alle konventionell gezüchteten Sorten frei genutzt werden, um neue und noch bessere Sorten auf den Markt zu bringen. „Wenn die europäischen Regierungen jetzt nicht aktiv werden, wird diese Freiheit der ZüchterInnen in einem Patent-Dschungel erstickt“, warnt sie.
Dem Bündnis zufolge sind politische Entscheidungen notwendig, um die Freiheit der traditionellen Züchter*innen zu bewahren. Diese ist eine Voraussetzung dafür, dass neue Pflanzensorten auf den Markt gelangen, die beispielsweise eine Anpassung an den Klimawandel ermöglichen. „Wir fordern, dass die Vertragsstaaten des EPA zu einer internationalen Konferenz zusammenkommen, um zu entscheiden, wie die bestehenden Verbote im Patentrecht auszulegen sind”, sagt Verena Schmitt vom Umweltinstitut München. „Unser Bündnis hat bereits mehr als 200.000 Unterschriften gesammelt, jetzt wenden wir uns an die europäischen Regierungen und an den Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann. Wenn die notwendigen politischen Entscheidungen nicht getroffen werden, ist das das Ende der Pflanzenzucht, so wie wir sie kennen.” (ab)